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Langsamkeit und Kippfigur: Better Call Saul

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„The movie doesn’t move like a bullet, I don’t want it to move like a bullet, I mean, I want it to move like a bullet when its supposed to and the other times, I just want it to kinda hang out just for a while and thats the whole rhythm of the movie.“
Quentin Tarantino über „Pulp Fiction“

Die folgenden Sätze beinhalten Spoiler über „Breaking Bad“ sowie die ersten beiden Staffeln von „Better Call Saul“

Wenn wir Bob Odenkirks Saul das erste Mal wiedersehen, scheinen die Ereignisse um Walter White & Co. Epochen zurückzuliegen. Alt und kahl ist er geworden in seinem Zufluchtsort, Angst hat er vor den Dämonen der Vergangenheit, alles in ihm und um ihn herum scheint so grau zu sein wie der die Farben entziehende digitale Filter, welcher in anderen Werken vor allem in die Vergangenheit weist. Aber dies ist die Zukunft, und angesichts der hier gezeigten Tristesse kommt fast schon Bedauern auf ob der Erfüllung des mehrfach geäußerten Fanwunsches, Showrunner Vince Gilligan möge sich in „Better Call Saul“, einer Vorgeschichte zu „Breaking Bad“ über die Wandlung des braven Anwalts James McGill zum korrupten Fanliebling Saul Goodman, auch mit den Zeiten post „Heisenberg“ beschäftigen. Und ja, fast wünscht man ihm ein ähnlich wuchtiges Ende mit Schrecken wie dem todkranken Chemielehrer, dessen Exitus schon mit Folge 1 feststand, der es aber bis zum letzten Atemzug verstand, kompromisslos ein Leben nach seinen ureigenen Regeln zu führen.
Die Geschichte von Saul, der wohl unterhaltsamsten, in jedem Fall schillerndsten Figur aus „Breaking Bad“, ist nach Albuquerque auserzählt, was bleibt, sind alte VHS-Kassetten mit all den Werbespots, die früher im einem ganz anderen Kontext so urkomisch wirkten und jetzt, am Ende der Reise schlicht traurig anmuten. Und da sich die Serie vollauf bewusst ist, dass es über die Attitüde desjenigen, der einst damit prahlte, eine Frau unter dem Vorwand ins Bett gekriegt zu haben, er wäre Kevin Costner, nichts Neues zu erzählen gibt, geht sie fortan zurück in die Zeit, in welcher der Mensch dahinter noch deutlicher zu erkennen war.
Wenn es vor dem Intro in die erste Staffel noch Zweifel gab, dass der Ton dieser Serie mehr Drama und weniger wie ursprünglich von Gilligan angedacht Anwaltsklamotte sein würde, so sind sie spätestens nach eben beschriebenen Anfangsminuten vom Tisch, wobei es dann doch überrascht, wie ebendieses Drama bisweilen in noch tiefere menschliche Abgründe blicken lassen wird, als sein dahingehend schon nicht gerade zimperlicher Vorgänger.

Es wird wohl kein Zufall sein, dass Gilligan in beiden Serien Männer zu Spielern von tragischen Hauptfiguren gemacht hat, die ihre größten Erfolge zuvor in einem gänzlich anderen Genre feierten, Bryan Cranston in der Sitcom „Malcolm in the Middle“ und Odenkirk in der Sketchreihe „Mr Show with Bob and David“.
Diese speziellen Talente werden auch eifrig genutzt: wann immer Cranston seiner Hose hinterher- oder eine Fliege im Labor jagt, bedient er sich ungeniert dem verzweifelten Slapstick, welcher seinen chaotischen Familienvater Hal so liebenswert machte, und jenseits dessen, dass Odenkirk ein Meister im pointierten Pointensprechen ist, hilft es angesichts der Jahre, die man ihm mittlerweile doch ansieht, dass er, der seinerzeit in viele Rollen unterschiedlichen Alters schlüpfte, nur ein volleres Toupet und ein schludriges Hawaihemd braucht, damit man dank seiner subtil veränderten Motorik geneigt ist, ihm zur Not auch den 29-Jährigen noch abzukaufen.
Beide eint, dass sie jenseits all der hemmungslosen Albernheiten, die sie sich und ihrer jeweiligen Geschichte zugestehen, nie die Tiefe ihrer Figur verlieren, und das gerade bei Saul nicht erst seit seiner eigenen Serie. Ja, James McGill, so sein eigentlicher Name, ist keine neue Erfindung, kein Gimmick, um einer zweidimensionalen Figur nachträglich mehr Tiefgang zu verleihen. Odenkirk ließ ihn immer wieder durch die Maske des schmierigen, korrupten kleinen Drecksacks durchscheinen, erzählte zumeist nur in Blicken, gelegentlich in Sekundenbruchteilen Momente echter Zweifel, echter Empathie, echter Anständigkeit. Kaum zu glauben, dass dieser Vollblutschauspieler wiederholt zu seinem Showrunner lief und Bedenken äußerte, angesichts dessen, was seine Kollegen da so Tolles spielen würden, doch fehl am Platz zu sein. Während der – über jeden Zweifel erhabene – Cranston immer schon genügend Zeit hatte, um all den verletzten Stolz, all die Niedertracht und all die Hybris durch seine Chemielehrerbrille zu transportieren und mit jeder weiteren Staffel transparenter zu machen, war Odenkirk klar als komischer Sidekick, als willkommene Ablenkung zu Lungenkrebs und Drogenkrieg eingeführt und hatte infolgedessen kaum Chancen, den Menschen hinter dem scheußlichen Anzug und vor der Verfassungstapete zu zeigen. Was er dann trotzdem brillant tat, genauso wie der nicht minder großartige Jonathan Banks schnell klarwerden ließ, dass in seinem stoischen Killer Mike Ehrmantraut ebenfalls eine Geschichte schlummerte, die es sich zu erzählen lohnte.

Dass hier in beiden Serien Comedians als Interpreten von innen drinnen sehr ernsten Menschen gewählt wurden, ist aber auch ein Symptom für einen anderen Aspekt, einen, der sich durch alle Bereiche in Gilligans aktuellem Schaffen zieht: dem der Fallhöhen und Kippfiguren. Er bedient sich auf der narrativen Ebene dabei oft und gerne des Weglassens von Informationen, die eigentlich nötig sind, um den eingefangenen Moment als Ganzes zu begreifen, ihn einordnen und bewerten zu können. Dies funktioniert im Dienste des Suspense, etwa wenn Mike zerschunden mit einem Batzen Geld nach Hause kommt, und die Frage im Raum steht, ob er wirklich seinen ersten Auftragsmord beging, wie auch als komisches Mittel, etwa wenn McGill bedeutungsschwanger einen verbeulten Mülleimer betrachtet, nur um nach einer erneuten Abfuhr von Seiten der Kanzlei seines Bruders – wie wir nun wissen erneut – darauf einzutreten. Mitunter genügt auch ein Schnitt von einer Nahaufnahme in die Totale, um eine Szenerie in einem gänzlich anderen Licht zu zeigen und zuvor erdachte Bewertungen durch den Zusatz wichtiger visueller Informationen ad absurdum zu führen. Solche erzählerischen Matrjoschka-Puppen sind an sich schon sehr virtuos. Aber selbst im übergeordneten Genre-Bereich lassen sich in „Heisenbergland“ immer wieder Fallhöhen finden. Gelangen schon „Breaking Bad“ mühelos die Übergänge von Familiendrama zu Kifferkomödie zu Gangsterepos – und das bisweilen in Minuten – schöpft auch „Better Call Saul“ aus den Vollen und lässt immer wieder eigentlich komische Figuren zutiefst menschliche Konflikte austragen, während in derselben Folge eine geschundene Seele wie Mike Ehrmantraut für herzhafte Lacher sorgen darf.
Ich glaube, es gibt ein Wort für diese Vielfalt an Flachheit und Tiefgang, Tragik und Komik, laut und leise, und ich glaube dieses Wort heißt: lebendig.
Als dritter Kippfiguren-Aspekt seien die zwei Seelen erwähnt, die bei genauerer Betrachtung in jeder Figur bis hin zur noch so kleinen Nebenrolle stecken und die auf der Bedeutungsebene so ungemein wichtig sind, weil sie verhindern, dass bei aller pointierter und mehr als berechtigter Gesellschaftskritik hier didaktische Erbauungskunst fabriziert wird. Ja, das Gesundheitssystem in den USA ist marode und war es vor Obamacare noch mehr, aber Walter White hatte reiche Freunde, die ihm finanzielle Hilfe anboten und lehnte ab, weil der Heisenberg in ihm zu viel Stolz besaß. Und ja, James McGill ist bis zu einem gewissen Grad ein einfacher, hart arbeitender Träumer, der von seinem großen, privilegierten Bruder in die Pfanne gehauen wird, aber er ist auch immer und von Anfang an der Spieler, Zocker und Betrüger, der es auf dem Gipfel seines anständig erarbeiteten Erfolges nicht ertragen kann, dass seine Mätzchen nicht den Applaus bekommen, den sie seiner Meinung nach verdienen, weswegen er aus ureigenen Stücken eine Abwärtsspirale startet, die sein ebenfalls zwischen eitlem Arschloch und weisem Propheten hin und herkippelnder Bruder (wunderbar von Michael McKean gegeben) lange vorhergesagt hat. Und auch seine Kollegin und Geliebte Kim (Lea Seahorn), die, so meine Prognose, früher oder später vom Strudel der Ereignisse um McGills Verwandlung in Saul Goodman mitgerissen werden wird, eignet sich nur sehr bedingt als Sinnbild für Kollateralschäden männlicher Niedertracht, dafür ist sie – wie auch schon zuvor Walter Whites Frau Scyler – viel zu sehr aktiv Partizipierende an seinem Treiben. Kritik am großen Ganzen und moralischer Appell an das Individuum gehen hier Hand in Hand, negierten sich dabei mitnichten, sondern stehen schlicht als zwei sich manchmal reibende Aspekte der Wahrheit nebeneinander. Und auch die Tatsache, dass es ausgerechnet der Killer in spe Mike Ehrmantraut ist, dessen Body Count in „Breaking Bad“ den der meisten anderen übertraf und der in seinen Entscheidungen hier am – auch emphatisch – nachvollziehbarsten handelt, wäre überraschend, wenn es nicht ebenfalls so eindeutig in Gilligans Konzept von der Dualität von allem passen würde.
Womit wir beim vierten und letzten, in diesem Fall meistkritisierten Punkt angelangt wären: dem Tempo des Ganzen.
Es gibt sehr schnelle, rohe und laute Momente in „Better Call Saul“. Sie sind sehr rar gesät. Es überwiegt eine fast schon zelebrierte inszenatorische Langsamkeit, die im Bestfall urkomische wie auch beklemmende Auswirkungen haben kann, die aber trotzig auch dann noch vor sich hin kriecht, wenn es vermeintlich gar nichts zu erzählen gibt. Wohlgemerkt: vermeintlich, denn wo eine solche Gemächlichkeit in anderen Serien eine richtiggehende Frechheit wäre, schafft es „Better Call Saul“ wie schon sein Vorgänger, nur in diesem einen Aspekt tatsächlich sogar noch besser, den gemeinen Alltag so zeitlich zu entschleunigen, zu verdichten, dass die großen Wahrheiten, die mit den bloßen Auge sonst gar nicht sichtbar wären, transparent werden und selbst Kleinigkeiten wie ein Atemzug kurz vor dem Vorspann plötzlich spektakulären Eindruck hinterlassen können. Ein Beispiel hierfür ist die seltsame Hassliebe der beiden McGills. Klar findet der große Bruderkonflikt der Serie immer wieder in heftigen, kompromisslos ausgefochtenen Konfrontationen statt – und erreicht nebenbei bemerkt in seinen besten Momenten ein Königsdrama-Level, dem beispielsweise „Game of Thrones“ seit drei Staffeln hinterherrennt – aber das eigentliche Wunder ist doch, Michael McKean beim Klavierüben zuzusehen und dabei in fünf Minuten alles über seine schwierige Beziehung zu seinem jüngeren Bruder zu erfahren, wohlgemerkt ohne dass ein Wort gesagt wird oder ebendieser Bruder auch nur im gleichen Raum wäre. Die Genauigkeit, mit der hier inszenatorisch zu Werke gegangen wird, ist in ihren besten Momenten atemberaubend. Und wenn es dann mal wirklich knallt, wirklich schnell wird, wenn wir wieder eine Ahnung davon kriegen, welche Hölle hier in ein paar Jahren toben wird, dann ist dieser Knall umso lauter, je leiser das bisherige vonstatten ging.

„Better Call Saul“ ist die meisterhaft inszenierte Vorgeschichte einer meisterhaften Serie, (noch) nicht so wild, (noch) nicht so laut wie das geniale Ungeheuer „Breaking Bad“, aber gerade aus seiner fast schon stoischen Ruhe eine Kraft ziehend, welche die inneren und äußeren Kämpfe seiner Figuren, obwohl in Wahrheit längst nicht so lebensbedrohlich wie die im Leben eines Walter White, tatsächlich noch eine Spur existentieller und somit tragischer erscheinen lässt, getragen von einem wunderbaren Cast, allen voran ein exzellenter Bob Odenkirk, der Komik und Charaktertiefe so virtuos vermischt, dass allein sein Spiel schon eine komplett ausreichende Legitimation für die Existenz dieser Serie wäre.

D.C.L.


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