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The Hateful Eight (O-Ton, Roadshow-Fassung, Spoiler)…

…ist satte anderthalb Stunden lang ein vergifteter Hochgenuss, visuell atemberaubend (können bitte mehr Filme in 70 mm gedreht werden? Wie wäre es mit allen?), musikalisch umwerfend, phantastisch gespielt und die Spannungskurve wie in den Horrorfilmen, wie sie nicht mehr gemacht werden, hochschraubend, bis es fast zum zerreißen ist – ohne, dass dabei auch nur ein einziger Schuss fällt, irgendjemand den Kopf verliert, oder Gliedmaßen abgeschnitten werden. Stattdessen Gesichter und ihre Geschichten auf gleich drei Ebenen, zunächst die der Spielenden, auf der es beispielsweise eine Wonne ist, zu sehen, wie viel das Duo Tarantino/Jackson sich nach all den Jahren noch zu sagen, geben, schenken hat. Es wird der Tag kommen, da wird einer der größten Schauspieler seiner Zeit keine Filme mehr machen, und dann werden wir feststellen, dass wir ihn ob der unerhörten Menge an jährlich herausgebrachten Werken, darunter viel Mist, immer für selbstverständlich genommen haben. Dass Quentin Tarantino Samuel L. Jackson alle paar Jahre anruft und der Filmwelt zeigt, was sie an diesem hat, ist Grund genug, ihm mehr als nur ein bisschen dankbar zu sein. Dieses Gefühl hält auch bei allen anderen seiner obligatorischen Fressen an, sei es der schönste runtergerockte Mann der Welt, Michael Madsen, oder ein mit diebischer Spielfreude vor sich hinbritelnder Tim Roth. Dann sind da ihre Figuren, allesamt nicht über die Maßen liebenswert und jede von ihnen mit Geheimnissen beladen, so dass es schwer fällt, in der Masse an Abschaum noch so was wie eine Identifikationsfigur zu finden, zumal allesamt die einzige Frau im Bunde, eine mal wieder die Grenzen an menschlicher Niedertracht virtuos auslotende Jennifer Jason Leigh, wie Scheiße behandeln und sich ohne Ausnahme alle Weißen als mal mehr, mal weniger ausgeprägte Rassisten entpuppen, womit wir bei der dritten und problematischsten Ebene des Filmes angelangt wären: der, auf der Tarantino seine Figuren, statt wie früher über Madonna-Videos und Fußmassagen, nun über Bürgerkriegsprogrome und Rassenhass sinnieren lässt, oder knapper: der Ebene, auf der er uns wirklich was sagen will. Dass ihn, der früher oft dafür gerügt wurde, leere Filme mit hübscher Verpackung zu machen, immer häufiger Themen umtreiben, die früher wenn überhaupt als Fußnote untergebracht wurden, ist spätestens seit „Inglourious Basterds“ nichts Neues, und eingedenk eben dieser fantastischen ersten Hälfte wuchs die Bereitschaft, hier zu glauben, dass der Kutscher diesmal echt den Weg kennt.
Natürlich mutet es auch schon zu Beginn merkwürdig an, warum die brachial harten Schläge ins Gesicht von Leighs Daisy durch Kurt Russells „Hangman“ John Ruth (es ist wahrscheinlich der völlig falsche Moment in der Kritik, um zu schreiben, wie großartig ich ihn fand), warum also diese rohe Gewalt gegen eine angekettete Frau, ausgeführt von einem ausgewachsenen Mann, zu allem Überfluss auch noch als, ja, doch, Punchline im wahrsten Sinne gebraucht wird, so auf Pointe und Timing inszeniert, als wäre es ein Bugs Bunny-Cartoon. Aber das Hirn weigert sich da noch, in jemandem, der „Jackie Brown“ auf der Leinwand das Leben schenkte und die Braut auf Rachefeldzug schickte, auch nur ein Quäntchen misogyner Gesinnung zu vermuten. Kann ja auch alles kritisch gemeint sein, und dass der Kinosaal bei jedem Schlag in die Fresse aus dem Johlen nicht rauskommt, spricht doch bestimmt mehr gegen seine Insassen als dafür, dass Tarantino hier etwas gehörig entglitten ist. Gejohlt wird übrigens auch beim gefühlt zweihunderttausendsten Gebrauch des N-Worts. Ich kenne Tarantinos Haltung dazu, habe sie bei „Django“ noch mehr oder weniger brav geschluckt (so haben sie halt damals geredet, gell?), und sehe auch weiterhin ein, dass es seltsam wäre, wenn in einem Film über Rassisten kurz nach dem Civil War gewisse Terminologien nicht gebraucht würden. Allein: seine Behauptung, dass sich das Wort bei übermäßiger Benutzung irgendwann abnutzen würde, ist bestenfalls naiv. Und: seine Obsession mit diesem Wort ist weder neu noch der Allgemeinheit unbekannt, was mir wiederum ein ungutes Gefühl über den Ekel, den Tarantino bewusst übertragen will, hinaus gibt.
Nichtsdestotrotz überwiegt insgesamt der Eindruck, dass hier einer virtuos und verantwortungsvoll einen künstlerischen Ausdruck für ein Thema findet, welches sein jüngeres Ich nie zu handeln gewusst hätte.
Ja, Tarantino ist erwachsen geworden und das ist gut so.
Bis, ja, bis nach einem fulminanten, herrlich obszönen, grandios sadistischen Monolog von Samuel L. Jackson der erste Schuss fällt und nach und nach der Pulp Einzug hält in die bescheidene Hütte und den Film. Ab da wird es richtig garstig, richtig eklig, richtig blutig, da mäht Tarantino die wunderbare Zoe Bell über den Haufen und ihre Riege erzsympathischer Freundinnen gleich mit, als wolle er noch einmal filmisch zementieren, wie unzufrieden er mit „Death Proof“ war, da lässt er den Frauenschwarm Channing Tatum kurz auftreten, macht ihn aber zum größten Arschloch von allen, damit ja nicht zu viel Freude aufkommt, da verweigert er sich so lange und so strickt allem, was irgendwie als in Ansätzen angenehmes Seherlebnis durchgehen könnte, dass gerade das auf einer zutiefst voyeuristischen Ebene schon wieder ganz, ganz toll sein könnte, wenn, ach, wenn nicht die erste Hälfte lang so viel mehr gewesen wäre an Menschen und Themen. Das sorgt dann wiederum nicht nur dafür, dass der Akt nach der Pause trotz jeder Menge Krawumm deutlich länger und langweiliger wirkt, es zerstört im Nachhinein leider auch das Vertrauen, dass Tarantino zu Beginn geschenkt wurde, denn, ganz ehrlich: auch der schönste gefakte Lincoln-Brief am Ende kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Tarantino sich immer noch mehr für inszenierte Gewalt und Mexican Standoffs interessiert als für all die schweren Themen, denen er sich zuvor so verhältnismäßig behutsam genähert hat, was an sich nicht schlimm wäre, wenn dies die 90er wären und der Film „Reservoir Dogs“ hieße. Aber anderthalb grenzgeniale Stunden Bürgerkriegsdrama zu drehen und danach „April April, jetzt kommt der Gore!“, zu rufen, das ist ein mittlerweile allzu oft gesehener Trick, der weder dem Thema des Filmes noch der Brillanz seines Machers würdig ist.

D.C.L.


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